OGH: Umgehung des Rücktrittsrechts bei Digitaler Vignette (DiVi) ist unlauter und DiVi-Marken werden verletzt

15.01.2020

Der Oberste Gerichtshof (OGH 19.12.2019, 4 Ob 96/19z – Link) hat in der zugunsten der von GEISTWERT vertretenen ASFINAG gegenüber deutschen Website-Betreibern erlassenen Einstweiligen Verfügung ausgesprochen, dass ein Geschäftsmodell, welches das Rücktrittsrecht der Verbraucher beim Bezug Digitaler Mautprodukte (Digitale Vignette bzw Digitale Streckenmaut) ausschließen will, lauterkeitswidrig ist.

Weiters verletzt die dabei erfolgende Benutzung der unterscheidungskräftigen ASFINAG-Wortbildmarken die Markenrechte der ASFINAG.

Rechtswidriges Geschäftsmodell der deutschen Website-Betreiber

Der OGH folgt allumfassend dem Grundsatz der Beurteilung der Gesamtumstände und sprach über das (rechtswidrige und „unfaire“) Geschäftsmodell der in Deutschland ansässigen Beklagten „als Einheit“ ab:

Die Beklagten nutzen aus, dass die ASFINAG gemäß ihren „Allgemeinen Nutzungsbedingungen“ den Bezug Digitaler Mautprodukte durch Verbraucher einer Wartefrist von 18 Tagen unterstellen muss, um eine missbräuchlichen Ausübung des durch die EU-Verbraucherschutz-RL bzw das FAGG gewährten gesetzlichen Rücktrittsrechts zu verhindern. Die Nutzungsbedingungen der ASFINAG untersagen – ebenfalls um Missbrauch zu verhindern – auch die „Weiterveräußerung“ von Digitalen Mautprodukten.

Die Beklagten betreiben dem widersprechend eine – festgestelltermaßen mit jener der ASFINAG verwechselbare – Website, über welche Kunden gegen einen (erhöhten) Pauschalpreis „sofort gültige“ Digitale Mautprodukte „vermittelt“ werden. Die Kunden (wohl ausschließlich Verbraucher, weil bei Unternehmern keine Wartefrist bei Digitalen Mautprodukten besteht) geben ihre (Kennzeichen)Daten ein, welche dann von der Website der Beklagten vollautomatisiert in den ASFINAG-Webshop durchgeschleust werden, wobei dort von den Beklagten angegeben wird, dass es sich um den „Bezug durch Unternehmer“ handeln würde, sodass die Digitalen Mautprodukte sofort gültig sind. Dafür verlangen die Beklagten einen (intransparenten) Pauschalpreis, nämlich neben dem Preis der Digitalen Mautprodukte ein „Dienstleistungsentgelt“, und erzielen damit – nach eigenen Angaben – einen monatlichen Gewinn von EUR 30.000,-.

Verbraucher, die feststellen, dass sie bei den Beklagten einen höheren Preis bezahlt haben oder deren gesetzliches Rücktrittsrecht, über welches die Beklagten auch noch dazu nicht vollständig bzw nicht korrekt informieren,  von den Beklagten nicht gewährt wird, beschweren sich bei der ASFINAG.

Verletzung des Verbraucherschutz- (FAGG) und Lauterkeitsrechts (UWG)

Praxisnah sieht der OGH ein Wettbewerbsverhältnis als gegeben an, wenn sich die Unternehmer an einen im Wesentlichen gleichartigen Abnehmerkreis wenden, sodass der OGH nicht künstlich in unterschiedliche Vertriebsstufen aufspaltet.

Dem Grundsatz der Gesamtbetrachtung folgend hat der OGH auch das – europarechtlich determinierte – weite Verständnis von Verträgen im Fernabsatz dem Beschluss zu Grunde gelegt und das gesetzliche Schuldverhältnis, nämlich den Bezug von Digitalen Mautprodukten, durch Verbraucher dem FAGG unterstellt.

Der von vielen Online-Plattformen (und den Beklagten) angestrebten Abgrenzung von Leistungserbringung und deren Vermittlung (siehe EuGH zu UBER und neuerdings Airbnb) erteilte der OGH in seiner Gesamtbetrachtung gegenständlich eine Absage und sieht das Angebot der Beklagten zutreffend als „Gesamtdienstleistung“, welche daher erst mit Ablauf der „Laufzeit“ der Digitalen Mautprodukte vollständig erbracht ist, was für die Ausnahme vom Rücktrittsrecht nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG ausschlaggebend ist.

Der OGH verweist hinsichtlich des Tatbestands des UWG Anh Z 18 darauf, dass unter den Begriff „Produkt“ nicht nur Waren sondern auch Dienstleistungen fallen und dass „Marktbedingungen“ alles meint, was für das betreffende „Produkt“ charakteristisch oder für den Kunden relevant ist.

Lauterkeitswidrigkeit durch Verstoß gegen ASFINAG-ANB

Klarzustellen wäre vom OGH noch gewesen, dass das Geschäftsmodell auch aufgrund des Verstoßes gegen die – Missbrauch verhindernden – „Allgemeinen Nutzungsbedingungen“ der ASFINAG und das „Weiterveräußerungsverbot“ lauterkeitswidrig und zu untersagen ist.

Haftung trotz „gesellschaftsrechtlicher Schachtelkonstruktion

Die Beklagten versuchten offensichtlich, durch „gesellschaftliche Schachtelkonstruktionen“ einer persönlichen Verantwortung zu entkommen; auch dem erteilte der OGH eine Absage: auch die zweitbeklagte Gesellschaft als persönlich haftende Gesellschafterin der Betreibergesellschaft und die Dritt- und Viertbeklagten als Geschäftsführer der Zweitbeklagten und „Erfinder des Geschäftsmodells“ haben dafür einzustehen.

Zur Markenrechtsverletzung – Unterscheidungskraft der Wortbildmarken der ASFINAG

Bei Prüfung des Eintragungshindernisses der fehlenden Unterscheidungskraft von Marken ist nach dem Beschluss ein großzügiger Maßstab anzulegen: Jede noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden. Ist der charakteristische und allein kennzeichenkräftige Bestandteil einer Wort-Bild-Marke die besondere grafische Gestaltung („ausreichend phantasievoll gestaltet, um es den maßgeblichen Verkehrskreisen zu ermöglichen, die Marken als Herkunftszeichen zu erkennen“), kommt es auf die Schutzfähigkeit des Wortbestandteils nicht an.

Die Duldungspflicht des Markeninhabers gemäß § 10 Abs 3 MSchG (der Art 6 MarkenRL umsetzt), nämlich insb Verweis auf Waren oder Dienstleistungen des Inhabers sofern dies den anständigen Gepflogenheiten entspricht, beschreibender Gebrauch, geht jedenfalls ins Leere, wenn die Markenbenutzung – wie hier – für ein lauterkeitswidriges Geschäftsmodell erfolgt.

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