Zur Abwägung der Interessen iZm der Freiheit der Kunst vs Urheberrecht

01.06.2016

Wieder zeigt eine oberstgerichtliche Entscheidung – diesmal des deutschen Bundesverfassungsgerichts – wie essentiell das Erkennen und das fachmännische Abwägen von Interessen im IP-Recht ist. Siehe schon den GEISTWERT-Blog zu Abwägung von IP-Rechten und Wissenschaftsfreiheit hier (Link). Diesmal ging es beim Urteil vom 31. Mai 2016 – 1 BvR 1585/13 des Bundesverfassungsgerichts (Link) um die Kunstfreiheit vs Musik-Urheberrecht!

ERGEBNIS: Die Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung kann einen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen!

Das Gericht betonte dabei, dass wenn der künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht gegenübersteht, der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, können die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers zugunsten der Freiheit der künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben.

Es ging in der Sache um die Urteile der deutschen Zivilgerichte für Urheberrechtsfragen, welche die Übernahme einer zweisekündigen Rhythmussequenz aus der Tonspur des Musikstücks „Metall auf Metall“ der Band „Kraftwerk“ (YOUTUBE Link) 20 Jahre später in den von Moses Pelham produzierten Song „Nur mir“ der Sängerin Sabrina Setlur untersagte. Für diesen Song sampelte Pelham das Stück „Metall auf Metall“ – er kopierte eine zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Kraftwerksong und ließ sie als Loop in fortlaufender Wiederholung laufen – diese Technik des Samplens spielt vor allem im Hip-Hop, aber auch bei der elektronischen Musik eine wichtige Rolle.

Die Zivilgerichte untersagten das Sampling als Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht und sahen kein im deutschen Urheberrechtsgesetz normiertes Recht auf freie Benutzung gegeben.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht sprach hingegen aus, dass das vom deutschen Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit der „freien Benutzung“ auf Eingriffe in das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz ist nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen.

Grundsätzlich sah das Bundesverfassungsgericht aber die gesetzlichen Vorschriften über das Tonträgerherstellerrecht und das Recht auf freie Benutzung als mit der Kunstfreiheit und dem Eigentumsschutz als vereinbar an. Sie geben den mit ihrer Auslegung und Anwendung betrauten Gerichten hinreichende Spielräume, um zu einer der Verfassung entsprechenden Zuordnung der künstlerischen Betätigungsfreiheit einerseits und des eigentumsrechtlichen Schutzes des Tonträgerherstellers andererseits zu gelangen. Die grundsätzliche Anerkennung eines Leistungsschutzrechts zugunsten des Tonträgerherstellers, das den Schutz seiner wirtschaftlichen, organisatorischen und technischen Leistung zum Gegenstand hat, ist auch mit Blick auf die Beschränkung der künstlerischen Betätigungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich. Umgekehrt führt allein die Möglichkeit von Künstlerinnen und Künstlern, sich unter näher bestimmten Umständen auf ein Recht auf freie Benutzung von Tonträgern zu berufen, nicht schon grundsätzlich zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung des auch verfassungsrechtlich geschützten Kerns des Tonträgerherstellerrechts.

Dagegen verletzen die angegriffenen Entscheidungen die beiden Komponisten und die Musikproduktionsgesellschaft des Titels „Nur mir“ in ihrer garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung: Bei der rechtlichen Bewertung der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken steht dem Interesse der Urheberrechtsinhaber, die Ausbeutung ihrer Werke zu fremden kommerziellen Zwecken ohne Genehmigung zu verhindern, das durch die Kunstfreiheit geschützte Interesse anderer Künstler gegenüber, ohne finanzielle Risiken oder inhaltliche Beschränkungen in einen Schaffensprozess im künstlerischen Dialog mit vorhandenen Werken treten zu können. Steht der künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in die Urheberrechte gegenüber, der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, so können die Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber zugunsten der Freiheit der künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben. Diese Grund­sätze gelten auch für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Tonträgern zu künstlerischen Zwecken.

Die Annahme des Bundesgerichtshofs, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht dar, soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trägt der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Wenn der Musikschaffende, der unter Einsatz von Samples ein neues Werk schaffen will, nicht völlig auf die Einbeziehung des Sample in das neue Musikstück verzichten will, stellt ihn die enge Auslegung der freien Benutzung durch den Bundesgerichtshof vor die Alternative, sich entweder um eine Samplelizenzierung durch den Tonträgerhersteller zu bemühen oder das Sample selbst nachzuspielen. In beiden Fällen würden jedoch die künstlerische Betätigungsfreiheit und damit auch die kulturelle Fortentwicklung eingeschränkt.

Der Verweis auf die Lizenzierungsmöglichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der künstlerischen Betätigungsfreiheit: Auf die Einräumung einer Lizenz zur Übernahme des Sample besteht kein Anspruch; sie kann von dem Tonträgerhersteller aufgrund seines Verfügungsrechts ohne Angabe von Gründen und ungeachtet der Bereitschaft zur Zahlung eines Entgelts für die Lizenzierung verweigert werden. Für die Übernahme kann der Tonträgerhersteller die Zahlung einer Lizenzgebühr verlangen, deren Höhe er frei festsetzen kann. Besonders schwierig gestaltet sich der Prozess der Rechteeinräumung bei Werken, die viele verschiedene Samples benutzen und diese collagenartig zusammenstellen. Die Existenz von Sampledatenbanken sowie von Dienstleistern, die Musikschaffende beim Sampleclearing unterstützen, beseitigen diese Schwierigkeiten nur teilweise und unzureichend.

Das eigene Nachspielen von Klängen stellt ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz dar. Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop. Die erforderliche kunstspezifische Betrachtung verlangt, diese genrespezifischen Aspekte nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinzu kommt, dass sich das eigene Nachspielen eines Sample als sehr aufwendig gestalten kann und die Beurteilung der gleichwertigen Nachspielbarkeit für die Kunstschaffenden zu erheblicher Unsicherheit führt.

Diesen Beschränkungen der künstlerischen Betätigungsfreiheit steht hier bei einer erlaubnisfreien Zulässigkeit des Sampling nur ein geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile gegenüber. Eine Gefahr von Absatzrückgängen durch die Übernahme der Sequenz in die beiden streitgegenständlichen Versionen des Titels „Nur mir“ ist nicht ersichtlich. Eine solche Gefahr könnte im Einzelfall allenfalls dann entstehen, wenn das neu geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz aufwiese, dass realistischerweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei sind der künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen. Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein Leistungsschutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, ist jedenfalls von Verfassungs wegen nicht geboten.

Insoweit haben die Verwertungsinteressen der Tonträgerhersteller in der Abwägung mit den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Betätigung zurückzutreten.

Set your categories menu in Header builder -> Mobile -> Mobile menu element -> Show/Hide -> Choose menu