Das V auf der Haube

2014 stellte Ferrari das Modell FXX K vor (siehe rotes Auto) und zwar in zwei Varianten die sich nur durch die Farbe des „V“ auf der Fronthaube unterscheiden. Bei der ersten Variante ist dieses „V“ schwarz mit Ausnahme seiner unteren Spitze, die in der Grundfarbe des betreffenden Fahrzeugs lackiert ist. Bei der zweiten Variante ist dieses „V“ vollständig schwarz lackiert.

Ferrari FXX K

Mansory Design produzierte „Tuning-Bausätze“, mit denen ein Ferrari 488 GTB so verändert werden kann, dass sein Aussehen einem Ferrari FXX K nahekommt (siehe gelbes Auto).

Ferrari fand, dass der Front kit eine Verletzung seines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist, das aus dem Teilbereich des Ferrari FXX K besteht, der sich aus dem V-förmigen Element auf der Fronthaube, dem mittig aus diesem Element herausragenden in Längsrichtung angeordneten flossenartigen Element (d. h. dem „Strake“), dem in die Stoßstange integrierten zweischichtigen Frontspoiler und dem mittigen vertikalen Verbindungssteg, der den Frontspoiler mit der Fronthaube verbinde, zusammensetzt. Dieser Bereich werde als Einheit verstanden, die die individuellen „Gesichtszüge“ dieses Fahrzeugs bestimme und gleichzeitig die Assoziation mit einem Flugzeug oder einem Formel-1-Wagen wecke.

Erstinstanzlich und zweitinstanzlich verlor Ferrari. Der deutsche Bundesgerichtshof fragte nun den EuGH nach der Abgrenzung zwischen einem Gesamterzeugnis und einem Teil des Erzeugnisses.

Im Juristendeutsch: Können durch die Offenbarung einer Gesamtabbildung eines Erzeugnisses gemäß Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster an einzelnen Teilen des Erzeugnisses entstehen?

Der EuGH in seinem Urteil C-123/20 vom 28. 10. 2021 dazu: Ein Geschmacksmuster muss klar erkennbar ist. Andernfalls können die Fachkreise nämlich nicht Kenntnis von dem betreffenden Teil des Erzeugnisses erlangen.

Die Wiedergabe eines Geschmacksmusters muss dieses klar erkennen lassen, damit die Wirtschaftsteilnehmer einschlägige Informationen über die Rechte Dritter erlangen. Das bedeutet keine Pflicht für die Entwerfer, jeden einzelnen Teil ihrer Erzeugnisse, den sie durch ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt sehen möchten, gesondert zu offenbaren. Das Kriterium der Kenntniserlangung der Fachkreise von den die Offenbarung darstellenden Tatsachen setzt allerdings voraus, dass das Geschmacksmuster des Teils oder des Bauelements des Erzeugnisses klar erkennbar ist. Wenn wie im vorliegenden Fall die Offenbarungshandlung in der Veröffentlichung von Abbildungen eines Erzeugnisses besteht, müssen die Merkmale des Teils oder des Bauelements dieses Erzeugnisses, für den bzw. das das Geschmacksmuster beansprucht wird, daher klar sichtbar sein.

In diesem Zusammenhang hat der EuGH darauf hingewiesen, dass es für die Beurteilung der Frage, ob das beanspruchte Geschmacksmuster Eigenart besitzt, möglich sein muss, dieses mit einem anderen Geschmacksmuster zu vergleichen. Dafür ist unbedingt eine Abbildung erforderlich, auf der dieses beanspruchte Geschmacksmuster präzise und sicher zu erkennen ist.

Damit die Voraussetzungen für den Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster beurteilt werden können, muss daher der in Rede stehende Teil eines Erzeugnisses oder das in Rede stehende Bauelement eines komplexen Erzeugnisses sichtbar und durch Merkmale abgegrenzt sein, die seine besondere Erscheinungsform bilden, d. h. durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur. Dies setzt voraus, dass die Erscheinungsform dieses Teils eines Erzeugnisses oder dieses Bauelements eines komplexen Erzeugnisses geeignet sein muss, selbst einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht.

Im Streit zwischen Ferrari und Mansouri muss das deutsche Gericht nun prüfen, ob der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist.