Neue Regeln für standardessentielle Patente

10.08.2015

Die Praxis zum Streit um standardessentielle Patente orientierte sich bisher an der BGH-Entscheidung Orange-Book. Bis jetzt. Der EuGH hat im Urteil Huawei gegen ZTE nun neue Regeln aufgestellt:

Die Erhebung einer Unterlassungsklage durch den marktbeherrschenden Inhaber eines standardessenziellen Patents gegen einen Patentverletzer kann unter bestimmten Umständen ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung sein.

Jeder Inhaber eines standardessentiellen Patentes muss sich verpflichten, Dritten Lizenzen zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory – kurz FRAND) zu erteilen. Vor einer Klage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, muss er nach dem neuen Urteil des EuGH zu C-170/13 vom 16. 7. 2015 dem Patentverletzer eine konkretes Lizenzangebot machen.

Das ist eine Umkehr der Praxis, welche der BGH in seiner Orange-Book-Entscheidung vorgegeben hatte. Nach jener musste der potentielle Lizenznehmer dem Inhaber eines standardessentiellen Patents ein Lizenzangebot machen – nicht umgekehrt.

Der EuGH betonte nun, dass nach dem Unionsrecht die Ausübung von Patentrechten gewährleistet werden, zugleich aber auch der freie Wettbewerb erhalten bleiben soll. Das Recht, eine Patentverletzungsklage zu erheben kann als solche keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen, selbst wenn sie von einem Unternehmen in marktbeherrschender Stellung ausgeht. Nur unter außergewöhnlichen Umständen kann die Ausübung des ausschließlichen Rechts ein missbräuchliches Verhalten darstellen.

Der Streit zwischen Huawei und ZTE um ein Patent auf den Mobilfunkstandard LTE weist jedoch Besonderheiten auf. Zum einen betrifft er eben ein „standardessenzielles Patent“ (SEP), d. h. ein Patent, dessen Benutzung für jeden Wettbewerber unerlässlich ist, der Produkte herzustellen beabsichtigt, die dem normierten Standard, mit dem es verbunden ist, entsprechen. Zum anderen hat das Patent den Status eines SEP nur erlangt, weil sich sein Inhaber gegenüber der betreffenden Standardisierungsorganisation unwiderruflich verpflichtet hat, Dritten zu FRAND-Bedingungen Lizenzen zu erteilen.

Huawei erhob vor dem Landgericht Düsseldorf (Deutschland) eine Patentverletzungsklage gegen ZTE wegen Mobiltelefonen, die nach dem Long Term Evolution-Standard arbeiten. ZTE benutzt somit das Patent von Huawei, zahlt jedoch keine Lizenzgebühren. Mit ihrer Klage hat Huawei Unterlassung, Rückruf, Rechnungslegung und Schadenersatz geltend gemacht. Zuvor hatten Huawei und ZTE Gespräche über die Patentverletzung und die Möglichkeit einer Lizenzerteilung zu FRAND-Bedingungen geführt, waren jedoch nicht zu einer Einigung gelangt.

In seinem Urteil C-170/13 unterschied der EuGH zwischen Klagen auf Unterlassung oder Rückruf und Klagen einerseits auf Rechnungslegung und Schadensersatz andererseits:

Zu Unterlassungsklagen entschied der Gerichtshof, dass der Inhaber eines standardessenziellen Patents, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung diese Patent benutzt wurde, erhebt, wenn

–    er den Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung hingewiesen hat und dabei das fragliche Patent bezeichnet (es gibt nämlich 4700 LTE-Patente) und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und weiters dem Patentverletzer – wenn dieser sich bereit erklärt hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen – ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und

–    dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben reagiert hat, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und u. a. impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.

Der Patentverletzer, der das Angebot des SEP-Inhabers nicht angenommen hat, kann sich auf den missbräuchlichen Charakter einer Unterlassungs- oder Rückrufklage nur noch berufen, wenn er dem Inhaber des SEP innerhalb einer kurzen Frist schriftlich eine konkretes Gegenangebot macht, das den FRAND-Bedingungen entspricht.

Anders ist die Situation bei Schadenersatzklagen: Dazu stellte der Gerichtshof fest, dass der Patentinhaber ohne vorangehende Erfüllung dieser Bedingungen, gegen den Verletzer seines Patents auf Rechnungslegung und Schadensersatz klagen kann. Schadenersatzklagen haben nämlich keine Auswirkungen darauf, ob dem Standard entsprechende, von Wettbewerbern hergestellte Produkte auf den Markt gelangen.

Mag die Durchsetzung von standardessentiellen Patenten durch dieses Urteil auch erschwert worden sein, so eröffnet diese Unterscheidung ihren Inhabern doch interessante strategische Möglichkeiten.

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