Lange erwartete EuGH Entscheidung zur Ersatzteilklausel

Das Geschmackmusterrecht eignet sich nicht nur zum Schutz von Einzelteilen, sondern auch zum Schutz komplexer Erzeugnisse, wie etwa ein Auto. Dieses besteht aus einer Vielzahl von Teilen, die zusammen ein Ganzes ergeben. Der Geschmacksmusterinhaber kann jedem Dritten verbieten, ein Auto auf den Markt zu bringen, das den gleichen Gesamteindruck erweckt.

Aber nicht nur das Auto als Ganzes, sondern auch seine (sichtbaren) Teile können durch Geschmacksmuster geschützt werden. Das kann für den Käufer des komplexen Erzeugnisses zu dem unerfreulichen Ergebnis führen, dass er beim Kauf von Ersatzteilen für sein komplexes Erzeugnis an den Geschmacksmusterinhaber und dessen Preisgestaltung gebunden ist. Um zu verhindern, dass ein Geschmacksmusterinhaber das ihm eingeräumte Monopol ausnützen und Phantasiepreise verlangen kann, sieht Art 110 der Gemeinschaftsgeschmackmusterverordnung (GGV) die sogenannte Ersatzteilklausel vor: Sie besagt, dass für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmackmuster gewährt wird.

Dass diese Klausel formal als „Übergangsbestimmung“ formuliert ist („Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die GGV geändert wird“), zeigt, wie umstritten die Ersatzteilregelung schon bei ihrer Erschaffung war.

Tatsächlich haben sich zwischen der Acacia srl, einem italienischem Hersteller von Leichtmetallrädern (bzw. Felgen) für Autos und Audi einerseits und Porsche andererseits zwei erbitterte Auseinandersetzungen um die Zulässigkeit von Nachbaurädern, sogenannter Replikas entsponnen, die in dem Urteil C-319/16 und C-435/16 des EuGH gemündet haben.

Fraglich war nämlich, ob die Ersatzteilklausel nur für solche Ersatzteile gelten sollte, deren Aussehen durch die Form des komplexen Erzeugnisses, in welches sie sich einfügen müssen vorgegeben ist (sog. „must match“-Bauteile, wie zB ein Kotflügel), oder auch für solche, die sich nicht formschlüssig in die Karosserie einfügen müssen, sondern die ohne Einschränkung der Funktion auch ein anderes Aussehen haben können, wie etwa Leichtmetallrädern, die deshalb auch gerne zur Individualisierung verwendet werden.

Audi und Porsche vertraten die Ansicht, dass die Reparaturklausel nur für solche Ersatzteile den Geschmacksmusterschutz einschränken solle, deren Aussehen von jenem des Gesamterzeugnisses abhängig ist, also für „must match“-Ersatzteile.

Acacia vertrat hingegen die Ansicht, dass die Reparaturklausel auf alle gängigen Varianten der Originalfelgen anwendbar sei.

Der EuGH hat nun beiden Extremen eine Abfuhr erteilt:

  • Die Reparaturklausel ist nicht davon abhängig, dass das geschützte Geschmacksmuster vom Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses abhängig ist (wie etwa ein Kotflügel).
  • Die Reparaturklausel setzt aber voraus, dass das Erscheinungsbild des Ersatzteils mit demjenigen optisch identisch ist, dass das ursprünglich in das komplexe Erzeugnis eingefügte Bauelement bei seinem Inverkehrbringen hatte.
  • Um sich auf die Reparaturklausel berufen zu können, muss der Anbieter des Bauelements die nötige Sorgfalt walten lassen, damit es zur Reparatur eingesetzt wird (und nicht etwa zum Tuning des Fahrzeugs).

Damit kommt ein subjektives Element ins Geschmacksmusterrecht. Der Hersteller oder Anbieter des Bauelements (im Anlassfall, der Leichtmetallräder) muss nicht objektiv und unter allen Umständen sicherstellen, dass dieses nur zur Reparatur verwendet wird, er wird aber etwa

  • mit einem klaren, gut sichtbaren Hinweis auf dem Bauelement oder auf seiner Verpackung, den Katalogen und den Verkaufsunterlagen darüber informieren müssen, dass das Bauelement für einen anderen geschmacksmustergeschützt ist und nur zur Reparatur eines komplexen Erzeugnisses bestimmt ist.
  •  geeignete vertragliche Vorkehrungen treffen müssen
  • den Verkauf unterlassen, wenn erkennbar ist, dass das Bauelement nicht zur Reparatur verwendet werden soll

Ausgeschlossen ist damit die Berufung auf die Reparaturklausel für Bauelemente, die zwar in den Schutzbereich des Geschmackmusters fallen, aber nicht optisch identisch sind. Die Reparaturklausel findet nämlich nur dann Anwendung, wenn das Bauelement mit dem Ziel verwendet wird, dem komplexen Erscheinungsbild wieder das Erscheinungsbild zu verleihen, das es hatte, als es in Verkehr gebracht wurde. Damit schließt der EuGH die Berufung auf die Reparaturklausel für jene Felgen aus, die andere Größen oder Maße haben als jene der Originalräder.

Gespannt darf man bleiben, ob die Berufung auf die Reparaturklausel auch gegenüber Geschmacksmustern für zB Räder ausgeschlossen ist, die von Haus zur „Verschönerung“ bestimmt waren, die also etwa als Nachrüstung auf ein Fahrzeug montiert wurden und mit welchen ein Fahrzeug (komplexes Erzeugnis) nicht ursprünglich in Verkehr gebracht wurde. Schließt man hier die Reparaturklausel aus, führt dies dazu, dass Anbieter von gestalterisch eigenständigen Nachrüstbauteilen (zB Tuningrädern) besseren Geschmackmusterschutz gegenüber identen Nachbauten genießen, als der Anbieter der ursprünglich am komplexen Erzeugnis Auto verwendeten Räder.

Wer diese Fragen umgehen will, der kann auf nationale Geschmacksmuster ausweichen, wie dem österreichischen, welchem eine Reparaturklausel fremd ist.